Es ist schon interessant, wenn man das jetzt endlich auch einmal von US-Seite hört. Bisher waren ja von dort und auch von Großbritannien eher umgekehrte Meinungen zu hören. Die wöchentlichen Hetzkampagnen britischer IT-Journalisten durchaus renommierter Medien gegen das resolute Vorgehen der Kommissarinnen Viviane Reding und Neelie Kroes waren ja nicht nur „unter der Gürtellinie“, sondern auch aus zentraleuropäischer Sicht inakzeptabel und machten den Eindruck, als wären sie direkt von der Googel-PR-Abteilung gesponsert.
Aber keine Geschäftsleitung eines US-Unternehmen kann auf Dauer die Ansprüche von mehreren hundert Millionen potentiellen EU-Bürgern ignorieren. Die sind nämlich gar nicht so anders als jene in vielen anderen, wenn nicht sogar in den meisten Ländern der Welt. Man will die neuen IT-Werkzeuge nutzen, aber man will dabei nicht belogen, über den Tisch gezogen oder übervorteilt werden. Die Tatsache, dass man nun jedoch nicht mehr relativ einfach bemerkt, wenn jemand unbefugt nach dem eigenen Gold – und das sind die Daten von heute – grapscht, macht es aber so schwierig. Wer mehr Ressourcen hat (Manpower, Know-how und Speicher- und Rechenleistung), der hat enorme Vorteile gegenüber jenen, die dem weniger entgegenzusetzen haben. Hier zeigt sich der bequeme Imperialismus des 21. Jahrhunderts: man muss weder ein Schiff besteigen noch eine Waffe in die Hand nehmen. Tastatur, Maus und ausrechend IT-Leistung reichen aus. Wie schon bisher bei jeder industriellen Revolution hinkt die gesellschaftliche Anpassung an die neuen technischen Möglichkeiten um einige Jahrzehnte hinterher.
Jedenfalls wirft CDD-Direktor Jeff Chester Washington und der zuständigen Federal Trade Commission (FTC) vor, „das Datenschutzversprechen gegenüber Europa zu brechen", indem sie die Praxis von Firmen wie Adobe, AOL, Salesforce.com und anderen dulden würden. Diese Firmen würden personenbezogene Daten in großem Umfang sammeln und auch an Dritte weitergeben, ohne Wissen und Einwilligung der Dateneigentümer. Es zeigt sich, dass das schon 14 Jahre alte transatlantische Datenabkommen Safe Harbour kein angemessenes Schutzniveau mehr bereitstellt und den heutigen IT-Möglichkeiten nicht mehr angemessen ist.
Im Zusammenhang mit den diversen Abhörskandalen der letzten Monate hat das EU-Parlament die Kommission aufgefordert, das Abkommen zu kündigen. Die EU-Kommission hat diesen Schritt bisher nicht gesetzt und auf eine Reformation von Safe Harbour seitens der US-Regierung gedrängt. Aber auch da ist bisher nichts passiert. Dies verwundert mich in keiner Weise, denn wer das Spiel in Brüssel kennt, der weiß, dass dort massives Lobbying ein funktionierendes Werkzeug ist, und große US-Konzerne nutzen dies wirklich sehr intensiv und clever. Leider haben viele EU-Mitgliedsstaaten und Organisationen noch immer nicht verstanden, wo Politik heutzutage in Europa gemacht wird und dass nur ein gemeinsamer und starker Auftritt dazu führt, Einfluss nehmen zu können.
Wer glaubt, dass diese Fragen zu spezifisch sind und Cloud ein Randthema ist, der erkennt nicht die größeren Zusammenhänge einer industriellen Revolution und der damit verbundenen sozio-ökonomischen Konsequenzen. Die Frage, wo in Zukunft Wertschöpfung generiert wird, wird genau jetzt und hier und heute entschieden. Bedauerlicherweise haben das viele Unternehmen, Interessensverbände, Wirtschaftsverbände und politische Organisationen noch nicht erkannt. Ich kann es daher gar nicht oft genug wiederholen: „Der Zug fährt schon längst, und ihr seid noch immer nicht eingestiegen.“
Tobias Höllwarth ist Vorstand der europäischen EuroCloud (www.eurocloud.at www.eurocloud.org) und Mitglied einer Reihe von Beratungsunternehmen (www.vccg.at www.ictan.eu www.hoellwarth.at) und IT-Gremien in der Europäischen Kommission und der internationalen Normungsorganisation ISO. Höllwarth ist Autor des Werkes Cloud Migration (www.cloud-migration.eu), Leitet die Initiative TRUST IN CLOUD (www.trustincloud.org) und ist Direktor des ECSA Programmes (www.eurocloud-staraudit.eu)